Mein Interview in der Frankfurter Rundschau zu Remote Work
- svenfraede
- Jul 25, 2022
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Der folgende Beitrag ist am 25.07.2022 in der Frankfurter Rundschau erschienen. Interviewer und Autor ist Steffen Herrmann.
Hier geht es zum originalen Beitrag.
Frankfurt – Anruf bei Sven Daniel Fraede. Der 26-Jährige macht, wovon viele träumen: Remote Work, er arbeitet aus der Ferne. Das kann ein x-beliebiger Ort sein: Portugal, Costa Rica – bei Fraede ist es Brasilien. „Und zwar der deutsche Teil Brasiliens“, sagt er schmunzelnd, „wo jeder Zweite einen deutschen Nachnamen hat und es viele Gartenzwerge in den Vorhöfen gibt.“
Fraede wohnt in Santa Maria. Die 200.000-Menschen-Stadt liegt im Süden des Landes, wo es einen großen Bevölkerungsteil mit deutschbrasilianischen Wurzeln gibt. Die Folge großer Einwanderungswellen von 1824 an. Damals trieben Armut und Industrialisierung die Menschen nach Brasilien, bei Fraede war es die Liebe.
Remote-Work im Online-Marketing und als Copywriter
Auf einer Reise hatte Fraede eine Brasilianerin kennengelernt. Nach einigem Hin und Her war klar: Fraede zieht nach Südamerika. Für seine Familie sei die Nachricht keine große Überraschung gewesen, erzählt er. Auch vorher hatte es den jungen Mann nie lange an einem Ort gehalten, in Deutschland schon gar nicht. „Fomo“, sagt er und lacht, „fear of missing out“. Die Angst, etwas zu verpassen, hatte ihn zuvor schon nach Korfu, nach Ägypten oder auf die Kapverden getrieben.
Nun also Brasilien. Der blonde Mann mit dem offenen Lächeln arbeitet im Online-Marketing und als Copywriter. „Beide Jobs lassen sich gut mit Remote Work vereinen“, so Fraede. Seine Kundschaft, die Kolleginnen und Kollegen sitzen in Deutschland. Das bedeutet: früh aufstehen, in der brasilianischen Nacht den Rechner hochfahren, während die Nachbarn noch schlafen. Die Uhr tickt deutsch in Santa Maria.
Den Umzug nach Brasilien habe er trotzdem noch nicht bereut, sagt Fraede. „Brasilien ist anders, es ist spannend. Es stellt mich ständig vor Herausforderungen und das gefällt mir sehr.“
Neben der Einreise unter Pandemiebedingungen durch Corona im Oktober 2020 sei die Sprache die größte Herausforderung gewesen: Anfangs sprach Fraede kein Wort Portugiesisch, seine Freundin musste übersetzen für ihn, „den einzigen Gringo in Santa Maria“ – beim Einkaufen, bei den Nachbarn, überall. Das ist heute anders: „Inzwischen habe ich Freunde, die sprechen nur Portugiesisch“, sagt Fraede.
Remote-Work: Innerhalb der EU kein Problem
Wie viele Menschen es in die Ferne zieht, um remote zu arbeiten, ist schwierig zu sagen: Es gibt nur wenige Statistiken, die entweder unseriös wirken oder veraltet sind. Klar aber ist: Mit der Pandemie hat das Thema an Bedeutung gewonnen. Wer sein Homeoffice ins Ausland verlagert, sollte genau prüfen, welche Rechte und Pflichten er oder sie hat. Innerhalb der Europäischen Union ist es unkompliziert, in Drittstaaten sind Aufenthaltstitel und Arbeitsgenehmigung notwendig. Auch über Steuern, Versicherungen und Arbeitsrecht sollte man sich vor der Ausreise informieren.
Fraede ist privilegiert, das weiß er. Sein Lebensstil ist für viele andere Menschen unerreichbar. Und: Er hat Folgen. „Remote Work kann die einheimische Bevölkerung vertreiben“, sagt er, und nennt Beispiele: Porto, Lissabon, Urlaubsgebiete in Brasilien. „Da hörst du in manchen Gegenden fast kein Portugiesisch mehr, sondern oft nur noch Englisch.“
Auch negative Folgen
Der Grund: Wegen der gutverdienenden Ausländer:innen aus Großbritannien, Deutschland oder den USA steigen die Preise auch für die Einheimischen. Die kleine Wohnung wird für viel Geld auf Airbnb an eine Urlauberin oder einen Remote Worker vermietet. Gentrifizierung, aber international.
Trotzdem: Für den 26-Jährigen ist Remote Work „etwas extrem Positives“: fremde Länder, neue Sprachen, kultureller Austausch. Zwar gebe es auch individuelle Nachteile, erzählt Fraede, zum Beispiel könne man im Ausland oft schlechter Karriere machen. „Aber ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen“, sagt Fraede – und schränkt ein: „Das muss aber nicht für jeden so sein. Remote Work hat seine Vor- und seine Nachteile und bleibt eine persönliche Entscheidung.“
(Steffen Herrmann)
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