Jeden Tag herrscht in meiner Brust ein Krieg an unerfüllten Wünschen und Zweifeln.
- svenfraede
- Jun 9, 2023
- 2 min read
Updated: Apr 21, 2024
"Nach meiner Lebenserwartung habe ich noch 60 Jahre, bevor alles vorbei ist,"
dachte ich mir, als ich 2018 hinter geschlossenen Jalousien in einem Stuttgarter Office saß.
Ich weiß noch, wie ich mich in diesem Moment fühlte: eingesperrt, beengt und beraubt. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Panik.
Ich wollte weg. Wohin genau, wusste ich nicht. Aber es war dieser Moment, in dem ich beschloss, mein Angebot auf Festanstellung abzulehnen.
Stattdessen bewarb ich mich bei TUI als Entertainer und flog im März 2019 zu meinem Einsatzort auf den Kapverden.
🌴 Das office hatte ich gegen Palmenstrände getauscht. Doch zu meiner Überraschung, das Gefühl blieb: eingesperrt, beengt, beraubt.
Das Problem war nicht das Office. Das Problem war die Gewissheit, was mich am nächsten Tag erwartet, und am nächsten, und am folgenden...
Innerhalb von nur 4 Monaten kündigte ich also meinen 2. Job - mit einem Gefühlsmix aus Flucht, Angst, Versagen und Richtungslosigkeit.
🏕 Ganze 3 Monate brauchte ich, um den Mut zu fassen, mit meinem Backpack auf die Straße zu treten und den Daumen rauszustrecken.
Was darauf folgte, war eine 6 Monatiger Pilgerzug mit Nächten unter offenem Himmel, auf fremden Couches und in Garagen.
Bis meine Reise mit Krankheit auf den Canarien endete, nur 2h Flug von den Kapverden entfernt, die ich vor einem Jahr verlassen hatte.
Pandemie, eine Reisebekanntschaft mit einer Brasilianerin und mein Auswandern besänftigen kurz darauf die Hummeln in meinem Bauch.
🇧🇷 Seitdem wohne ich am anderen Ende der Welt. Mein Leben hat sich verändert, der Sternenhimmel ist ein anderer, sowie die Sprache.
Langsam kommen Routinen zurück in mein Leben, heute mit eigenen Kunden, Startup und meinem Lieblings Samba am Donnerstag.
🐝 Oftmals spüre ich die Hummeln im Bauch, wie sie rebellieren gegen die neuen und doch alten Routinen.
Und ich weiß, dass ich mich ihnen eines Tages erneut hingeben und ergeben werde.
Wann genau, das weiß ich nicht. Und oftmals habe ich Angst, dass ich den Moment verpasse und sie in Gewissen und Rationalität ersticke.
Doch habe ich gelernt, dass der Moment der Entscheidung von alleine kommt, wenn die Hummeln zu laut und die Routinen zu eng werden.
Bis dahin gehe ich sicher, dass sie nicht verkümmern und warte auf den Moment, in dem Sie mit mir wegfliegen. Sei es in 2 Jahren oder in 20.
Mir soll es recht sein. Denn hätte ich damals nicht auf sie gehört, so würde ich heute noch hinter geschlossenen Jalousien sitzen und denken:
"Nach meiner Lebenserwartung habe ich noch 55 Sommer, bevor alles vorbei ist..."



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